Eine Frau schildert ihre Vergewaltigung

«Er hat mich gebissen und gewürgt»

08.03.2022, 18:57 Uhr
· Online seit 08.03.2022, 18:26 Uhr
Wenn ein lustiger Abend in einem Trauma endet: Ilaria wurde nach eigenen Angaben vergewaltigt und sagte am Dienstag vor einem Jahr vor der Staatsanwaltschaft aus. Sie erzählt von der Tatnacht und wie es ihr heute geht.
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Sie steht unter der Dusche, lässt das Wasser über ihre Haut fliessen. Sie fühlt sich schmutzig und hat Schmerzen. Sie wird im folgenden Text von uns Ilaria genannt.

Freitag, der 13. Juni 2020, irgendwo in Zürich. Mit einer Freundin trifft sich Ilaria bei sich zu Hause zum Apèro und gemütlichen Zusammensein. Nach Mitternacht kommen noch vier Kollegen von der Freundin dazu. Zwei von ihnen sind bereits sehr betrunken. Ilaria trinkt über den ganzen Abend ein Glas Wein.

Je länger die Nacht wird, desto betrunkener sind die Männer. In den frühen Morgenstunden legen sich zwei von ihnen auf das Sofa von Ilaria, die Freundin und ihr Kollege gehen nach Hause. Ein Typ ist noch da und beschlagnahmt das Sofa im oberen Stock, wo auch das Zimmer von Ilaria ist.

Für die 28-Jährige ist das in Ordnung. Auch wenn sie die Männer nicht wirklich kennt, sind es Kollegen von ihrer Kollegin. Sollen die ihren Rausch ruhig ausschlafen. Die Zimmertür lässt Ilaria ein Stück offen, damit sie hört, wenn sich einer der Gäste übergeben muss oder etwas wäre. Sie schläft ein.

Ilaria wacht auf, weil jemand in ihr Zimmer kommt. Der Typ, der auf dem Sofa im oberen Stock lag, hat sich zu ihr ins Bett gelegt. Er fängt an, Ilaria zu umarmen und zu küssen. Sie fühlt sich bedrängt und bittet ihn aufzuhören. Sie möchte keinen Sex mit ihm. Sie hört, wie jemand die Wohnung verlässt und nutzt die Situation, um aufzustehen und nachzuschauen, wer gegangen ist.

Er reisst sie aufs Bett zurück und will ihr die Trainerhose runterziehen. Sie versucht es zu verhindern. Ilaria sagt ihm wieder, dass er das lassen soll. Sie dreht sich mit dem Rücken zu ihm auf die Seite. Er drückt sein Knie auf ihre Beine, sagt ihr immer wieder, sie solle «die Fresse halten» und hält ihr den Mund zu.

Er reisst ihr erneut die Trainerhose runter und dringt in sie ein. Er würgt und beisst sie. Er dreht sie auf den Rücken und verpasst ihr mehrere Ohrfeigen, würgt sie erneut mehrmals und beisst sie in ihre Wangen, ins Ohr und in die Zunge. Je mehr sie sich wehrt, desto schlimmer wird es. Sie erstarrt.

Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Das Erste was Ilaria danach macht ist, unter die Dusche gehen. Sie fühlt sich schmutzig und benutzt. Nach der Dusche tritt sie wieder in ihr Zimmer. Mittlerweile ist es hell, der Beschuldigte will nicht nach Hause und schläft weiter.

Er erinnere sich nicht mehr an den Vorfall, behauptet er später am Tag. Es kommt ein weiteres Mal zu Sex. Unter anderem dieser erneute Verkehr wird die Staatsanwaltschaft Monate später zur Entscheidung bewegen, den mutmasslichen Täter freizusprechen. Ilarias Begründung: Sie hat mitgemacht aus Angst vor seiner Aggressivität, die er in den Stunden zuvor zeigte.

Ilaria lässt es einfach über sich ergehen. Sie hat keine Kraft und keinen Mut, sich zu wehren. Er würgt sie wieder. Er möge es, wenn eine Frau nach Luft schnappt. Am Nachmittag ist Ilaria ihn los. Sie ist völlig neben der Spur und schreibt einer Freundin. Sie ist unsicher und voller Scham und es dauerte eine Zeit, bis ihr klar wird, dass sie sich vergewaltigt fühlt.

Zwei Tage sind vergangen, als Ilaria Anzeige bei der Polizei erstattet und sich ihrem Bruder anvertraut. Der Beschuldigte wird zwei Tage zur Untersuchung festgenommen, danach passiert fürs Erste nichts mehr. Erst ein dreiviertel Jahr später, am 8. März 2021, muss Ilaria erneut ihre Aussage machen. Dieses Mal vor der Staatsanwaltschaft. Das ganze dauert sechs Stunden. Sie fühlt sich nicht ernst genommen.

Dieses Gefühl bestätigt sich dann zwei Monate später, als die Staatsanwaltschaft den Fall einstellen will. Die Begründung: Die beiden Aussagen von Ilaria würden sich nicht eindeutig decken. Der Prozess geht jedoch weiter, da Ilarias Anwalt den Fall weiterzieht. Mittlerweile haben Ilaria und ihr Anwalt Berufung gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft eingelegt. Seither wartet sie, bis heute. Für den Mann gilt die Unschuldsvermutung.

Ilarias Weg zurück in den Alltag

Den besagten Mann hat Ilaria nie mehr gesprochen, aber per Zufall im letzten Sommer von Weitem auf dem Bahnhofperron gesehen. Sie erstarrte erneut und alles kam wieder hoch.

Die ersten zwei Wochen nach dem Vorfall fühlte sich Ilaria von den Fachstellen allein gelassen. Sie musste alles selber organisieren. Die heute 30-Jährige ist seit damals in psychologischer Behandlung. Es war schwierig, gleich einen Platz zu finden, da die Psychologen wegen der Corona-Pandemie zusätzlich viele Patienten und Patientinnen hatten.

Die ersten drei Wochen war sie krank geschrieben, danach hat sie wieder 80 Prozent gearbeitet. Als die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft kam, warf sie das komplett zurück. Drei Monate lang war sie nicht arbeitsfähig. In dieser Zeit hat Ilaria auch ihren Eltern vom Vorfall erzählt.

Seit gut zwei Jahren hat sie nun eine Therapeutin. Die Sitzungen tun ihr gut. Dennoch kämpft sie mit Rückschlägen. Schritt für Schritt ist sie wieder in den Arbeitsalltag eingestiegen. Seit letzter Woche wieder 100 Prozent. Sie versucht ihr Leben wieder zu leben, ihren Hobbies nachzugehen, wandern und Zeit mit der Familie zu verbringen.

Am Dienstag, dem Internationalen Frauentag, findet zum Thema «Vergewaltigungsmythen» eine Vernissage ab 19.30 Uhr im Kosmos Zürich statt, die Vergewaltigungserlebnisse von Betroffenen zeigt. Ab 20 Uhr führt International Amnesty zum Thema «Was passiert nach einer Vergewaltigung?» eine Podiumsdiskussion im Kino 6 durch.

veröffentlicht: 8. März 2022 18:26
aktualisiert: 8. März 2022 18:57
Quelle: ZüriToday

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