Miese Google-Bewertung

«Betroffene werden nur ernstgenommen, wenn sie klagen»

· Online seit 14.05.2022, 11:05 Uhr
Eine Frau beleidigt per Google-Rezension die neue Partnerin des Ex-Mannes, die eine Praxis führt. Das Gericht spricht sie frei: Die Bewertung habe die Frau nicht als Privatperson beleidigt. Wäre ein solcher Prozess vermeidbar gewesen? Ein Digital-Experte ordnet ein und prangert Google an.
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Der Fall wurde vor dem Bezirksgericht Bülach verhandelt: Eine Frau hatte eine Ein-Stern-Google-Bewertung über die Alternativmedizinpraxis der neuen Partnerin ihres Ex-Mannes geschrieben. Darin bezeichnete sie die Inhaberin der Praxis unter anderem als hochnäsig, nicht qualifiziert und nicht einfühlsam, wie die «Neue Zürcher Zeitung» schreibt. Dazu kommen weitere Beleidigungen: «die Ausbildung im Lotto gewonnen.... sehr penetrante Stimme!!».

Die neue Partnerin des Ex-Mannes erstattete Anzeige wegen Verleumdung – und blitzte am Donnerstag vor Gericht ab. Die Verfasserin der Bewertung wird vollumfänglich freigesprochen, die Google-Rezension ist bis heute nicht gelöscht worden.  Die Begründung des Richters: Der strafrechtliche Ehrbegriff schütze nur die ethische Integrität einer Person. Nicht geschützt sei ihr gesellschaftlicher Ruf oder die berufliche Geltung.

Löschung würde Klage wegen Ehrverletzung verhindern 

Damit folgt er dem Argument des Verteidigers. Auf Nicht-Juristen-Deutsch heisst das: die Google-Rezension hat sich nur auf die Frau als Geschäftsperson bezogen, nicht aber auf die Frau als Privatperson, als Partnerin des Ex-Mannes – und nur dieser zweite Fall hätte strafrechtlich belangt werden können. Handelt es sich hierbei um eine fiese Gesetzeslücke?

Der Zürcher Anwalt Martin Steiger ist Experte für Recht im digitalen Raum. Gegenüber ZüriToday sagt er, dass er das Problem in erster Linie woanders sehe: Könnte eine solche Google-Bewertung zivilrechtlich gelöscht oder künftige Bewertungen verhindert werden, dann würde sich ein strafrechtliches Vorgehen wegen Ehrverletzung bereits erübrigen.

Da liegt laut Steiger das Problem: «Die meist ausländischen Plattform-Betreiber, darunter Google, versuchen oft, Beschwerden von Betroffenen auszusitzen. Es scheint sie nicht zu stören, dass ihre Plattformen für Fake-Bewertungen missbraucht werden.» Betroffene würden nur ernst genommen, wenn sie klagen. Dies sei natürlich möglich – «den finanziellen und zeitlichen Aufwand können sich viele aber nicht leisten», so Steiger.

Unternehmen sollen selbst entscheiden können

Er verweist auf unseren Nachbarn Deutschland, wo es Betroffene einfacher hätten: «Die Plattform-Betreiber sind aufgrund der dortigen Rechtsprechung verpflichtet, bei Beschwerden zu prüfen, ob sie legitim sind.» In Kürze würden Fake-Bewertungen in Deutschland zudem ausdrücklich verboten, weiss der Experte.

In Bezug auf Google stört Steiger vor allem eines: «Solche Plattformen stellen sich auf den Standpunkt, dass sich Unternehmen bewerten lassen müssen.» Er fände angemessen, wenn dies jedes einzelne Unternehmen selber entscheiden könnte. «Oder, noch besser, dass sie selbst entscheiden können, ob sie auf Google überhaupt erscheinen möchten.» So hätte sich der Verleumdungsfall vor dem Bezirksgericht Bülach womöglich verhindern lassen.

veröffentlicht: 14. Mai 2022 11:05
aktualisiert: 14. Mai 2022 11:05
Quelle: ZüriToday

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