Notszenario

Bei starkem Erdbeben in Zürich könnten 753 Menschen sterben

12.02.2023, 08:21 Uhr
· Online seit 12.02.2023, 08:17 Uhr
Bereits nach dem Erdbeben von 1999 wurde in der Türkei eine Funktion eingerichtet, damit Verschüttete auch bei leerem Akku und überlastetem Netz um Hilfe rufen können. In der Schweiz gibt es das nicht. Neue Szenarien der Stadt Zürich zeigen, dass bei einem starken Beben Hunderte Menschen sterben würden.
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Nach dem schweren Erdbeben in der Türkei werden noch Tausende Menschen vermisst. Die Rettung geht teilweise nur schleppend voran. Und doch hat die Türkei anderen Ländern etwas voraus: Verschüttete können auch bei leerem Akku und überlastetem Netz um Hilfe rufen. Dies macht eine App möglich, die bereits nach dem Beben von 1999 lanciert worden war, schreibt die «NZZ am Sonntag». In der Schweiz, wo gerade das Erdbebenmanagement überarbeitet wird, gibt es eine solche Möglichkeit nicht. Würde es zu einem schweren Beben kommen, wäre der Notruf folglich überlastet, warnen Experten.

Das Problem: Eine grosse Anzahl Menschen würden gleichzeitig versuchen, beim Notruf durchzukommen. «Auf die Bewältigung dieser schieren Menge gleichzeitiger Anrufe sind unsere Alarmsysteme weder personell noch technisch ausgerichtet», sagt Markus Meile, Stabschef der Zürcher Krisenorganisation, zur Zeitung.

In Zürich würden bei einem Beben von 6,5 geschätzt 753 Menschen sterben

Der Bund selbst rät, nach einem Erdbeben nur im Notfall zu telefonieren, um das Netz für «wirkliche Notfälle» freizuhalten. Unterbrüche im Netz seien möglich. «Bei Grossereignissen steht weniger die Erreichbarkeit der Einsatzzentralen im Vordergrund als vielmehr die Zahl der Rettungskräfte, die überhaupt auf Hilferufe reagieren könnten», teilt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (Babs) der Zeitung mit. Dennoch ist ein Notfallknopf am Handy eine Option: «Sobald Erkenntnisse über den Mehrwert der türkischen App in einem Grossereignis vorliegen, wären diese im Rahmen des Dialogs über die Weiterentwicklung des Bevölkerungsschutzes durchaus von Interesse», heisst es.

Ein derart heftiges Beben, wie es die Türkei vor wenigen Tagen erlebt hat, ist in der Schweiz unrealistisch. Dennoch könnte es auch hierzulande zu einem Erdbeben der Stärke 6,5 kommen – wie etwa im Jahr 1356 in Basel. Alle 300 bis 500 Jahre sei ein solches möglich. In Zürich würden bei einem solchen Naturereignis heute geschätzt 753 Menschen sterben, 5493 Personen würden verletzt. Weitere rund 77'000 Personen würden obdachlos.

Bei mehr als 25 Schwerverletzten wird es in den Spitälern schwierig

Diese Zahlen zeigen einen weiteren Engpass auf: Nicht nur die Notrufstellen, auch die Spitäler könnten diese Menge nicht mehr bewältigen. «Bei Ereignissen mit mehr als 25 Schwerverletzten haben wir in der Schweiz ein Problem», sagt Mathias Zürcher, leitender Arzt für Rettungs- und Katastrophenmedizin am Unispital Basel, zur «Sonntagszeitung».

Spitäler haben nicht nur mit Personalmangel zu kämpfen, auch finanziell stehen sie vor grossen Hürden. Deshalb müssen Abstriche gemacht werden, die bei Grossereignissen entscheidend wären. Auch die Behörden würden zu wenig dagegen tun. «Das Rettungswesen und die Akutmedizin sind nicht nur gesundheitspolitisch, sondern auch sicherheitspolitisch relevant. Im Denken der politischen Behörden wird das aber vernachlässigt», erklärt Zürcher.

Und das Babs? Das schiebt die Verantwortung auf die Kantone. Zwar gibt es einen Koordinierten Sanitätsdienst (KSD) vom Bund, dieser sei jedoch schlecht strukturiert, warnen Ärzte. «Niemand hat die Übersicht», fasst Zürcher zusammen. Gar handlungsunfähig sei der KSD seit der Umstrukturierung, die Anfang Jahr umgesetzt wurde. Die besorgten Ärzte fordern deshalb einen runden Tisch. Gewährt wurde ihnen dieser bisher nicht.

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(joe)

veröffentlicht: 12. Februar 2023 08:17
aktualisiert: 12. Februar 2023 08:21
Quelle: ArgoviaToday

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