Memphis (USA)

Polizisten töten Afroamerikaner – ihre Hautfarbe gibt zusätzlich zu reden

01.02.2023, 14:03 Uhr
· Online seit 01.02.2023, 13:32 Uhr
George Floyds Tod ist zweieinhalb Jahre her – nun flammen in den USA erneut Proteste wegen des Tods eines Afroamerikaners, getötet von fünf Polizisten, auf. Was diesmal anders ist: Die Polizisten sind selber schwarz. Und so ist ein komplexer Diskurs entfacht.

Quelle: CH Media Video Unit / Beitrag vom 28. Januar 2023

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Dass afroamerikanische Menschen in den Vereinigten Staaten überproportional oft Opfer von Polizeigewalt werden, ist nichts Neues. Der Fall George Floyd aus dem Sommer 2020 steht stellvertretend dafür; die vier Polizisten sind mittlerweile zu Haftstrafen verurteilt worden – der Hauptschuldige Derek Chauvin gar zu über 20 Jahren Gefängnis.

Chauvin ist ein Weisser, und so schien schnell klar, dass der Mord rassistisch motiviert war. Was folgten, waren weltweite Demonstrationen und Black-Lives-Matter-Kundgebungen, der «böse, weisse» Polizist wurde zum Feindbild erklärt. Denn häufig sind es Gesetzeshüter wie Chauvin, von denen Polizeibrutalität – vor allem gegen Andersfarbige – ausgeht.

Polizei soll vermehrt Schwarze ausbilden

Vielleicht deshalb sind die aktuellen Proteste in Memphis (Tennessee) nicht zu vergleichen mit jenen im Zuge von Floyds Tod zweieinhalb Jahre zuvor. Am 7. Januar war der 29-jährige Afroamerikaner Tyre Nichols im Rahmen einer Verhaftung – angeblich wegen rücksichtslosen Fahrens – heftig verprügelt worden, drei Tage später erlag er seinen Verletzungen. Nur: Die fünf verantwortlichen Polizisten, die mittlerweile ebenfalls in Haft sind und angeklagt wurden, sind allesamt schwarz.

So ist in den letzten Tagen, nachdem das Polizeidepartement von Memphis die Videoaufnahmen der Körperkameras der Polizisten veröffentlichte, nicht bloss das Thema Rassismus in den Fokus gerückt, sondern vor allem auch die Polizeibrutalität an sich.

Polizeireformen müssen alle betreffen

Nicht erst seit Floyds Tod werden tiefgreifende und grundsätzliche Polizeireformen in den USA gefordert. Und weil schwarze Menschen und anderen Minderheiten in den Polizeikorps bisher unterrepräsentiert sind, wird auch deren stärkere Förderung und Rekrutierung verlangt.

In Memphis mag dies zwar geschehen sein: Die fünf Gesetzeshüter, die gar einer Spezialeinheit angehörten und nicht bloss einer «normalen» Strassenpatrouille, zeugen davon. Und doch hätten sie an jenem 7. Januar wohl ganz anders reagiert, wären sie darüber hinaus auch entsprechend ausgebildet worden. Deeskalations-Trainings, um nur zwei Beispiele zu nennen, sind unbedingt vonnöten – ganz unabhängig von der Hautfarbe.

Der Vorfall in Memphis ist viel komplexer

Und ganz unabhängig von der Hautfarbe existieren nun mal machtsüchtige, aggressive oder sich nach Ruhm sehnende Menschen. In Amerikas Strafverfolgungssystem gibt es sie zur Genüge. Sie konsequent auszusortieren oder umzuerziehen – oder gar nicht erst einzustellen –, sollte ebenfalls Teil von flächendeckenden Polizeireformen sein, wobei handkehrum auch Schwarze nicht verschont werden dürfen.

Der Vorfall von Memphis zeigt auf: Die vorherrschende Polizeibrutalität ist viel komplexer, als es George Floyds Tod – Weisser tötet Schwarzen – den Anschein machte. «Black on black»-Crime, ein in den USA gängiger Begriff, der impliziert, dass Schwarze in Sachen Gewalt auch vor den «eigenen» Leuten nicht Halt machen, ist ein Phänomen, das spätestens jetzt auch das Innere des amerikanischen Polizeiapparats erreicht hat.

Von Streben nach Anerkennung und Stereotypen

Diesbezüglich machen in den USA derzeit zwei Theorien die Runde. Die erste geht so: Weil Schwarze innerhalb der Polizei unterrepräsentiert sind, wollen sie sich umso mehr beweisen und zeigen, dass sie zurecht Anspruch auf höhere Positionen erheben. Dies kippt dann aber in Übermut, wobei sie auch vor gewalttätigen Verhaftungen nicht Halt machen.

Die zweite besagt, dass Schwarze eher die «eigenen» Leute anhalten oder kontrollieren, weil sie aus eigener Erfahrung wissen, dass diese eher kriminell sind als Weisse. Ihr persönlicher Hintergrund hat sie das gelehrt; sie wurden in entsprechende Milieus hineingeboren oder sahen mit eigenen Augen, wie Jugendfreunde auf die schiefe Bahn gerieten. Das eigene Stereotyp wird sozusagen bedient.

Diesen beiden Theorien sind höchst kontrovers – auf jeden Fall aber gilt es, ihnen entgegenzuwirken, und gelingen kann dies nur mit gründlicher Ausbildungsarbeit. Ein gut ausgebildeter Polizist lässt sich nicht von Wünschen nach Anerkennung oder Stereotypen leiten. Er handelt nicht auf der Basis einer Hautfarbe. Hier müssen die in den USA geforderten Reformen ansetzen – um auch nicht-weissen Polizisten eine langfristig erfolgreiche Karriere zu ermöglichen. In erster Linie aber, um Vorfälle wie jenen in Memphis zu vermeiden.

veröffentlicht: 1. Februar 2023 13:32
aktualisiert: 1. Februar 2023 14:03
Quelle: Today-Zentralredaktion

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