Rund um den Globus habe die Repression zugenommen, sagte Amnesty-Generalsekretärin Agnès Callamard bei der Vorstellung des Jahresberichts der Menschenrechtsorganisation. Viele frühere Konflikte hätten den Weg bereitet für weitere Auseinandersetzungen, die nun – wie der russische Einmarsch in die Ukraine – das laufende Jahr prägten.
Lob und Kritik für das Verhalten im Ukraine-Krieg
«Es ist nicht so einfach, sich hier aufs Jahr 2021 zu fokussieren, wenn sich die Aufmerksamkeit der Welt auf die Ereignisse in der Ukraine richten», gab Callamard zu, sagte aber: «In vielfacher Hinsicht sind die ersten Monate des Jahres 2022 das direkte Vermächtnis dessen, was 2021 für die Menschenrechte getan oder eben nicht getan wurde». Der Angriff auf die Ukraine sei in einem internationalen Klima erfolgt, in dem Verletzungen des humanitären Völkerrechts und schwerste Menschenrechtsverletzungen nicht durch ein konsequentes Eintreten der internationalen Staatengemeinschaft sanktioniert wurden.
«Die Ukraine-Krise beweist aber, dass Staaten im Gleichklang handeln können; sie bestätigt, dass Staaten schnell, entschlossen Flüchtlinge willkommen heissen und schützen können». Das sei bisher nicht bei allen Flüchtlingen so gewesen, gab Callamard zu bedenken und sprach sich für eine Neuordnung der multilateralen Organisationen aus. Dabei sollten auch afrikanische Politiker mehr Mitspracherecht haben. Callamard äusserte sich in dem Zusammenhang aber auch enttäuscht über deren Zurückhaltung bei der Verurteilung der russischen Aggression in der Ukraine.
Laut dem Jahresbericht 2021 der Organisation, der in 154 Staaten die Menschenrechtslage dokumentiert, wurde in jedem zweiten Land die Zivilgesellschaft drangsaliert. Das Recht auf freie Meinungsäusserung werde in vielen Staaten systematisch mit Füssen getreten. Positiv wertete Callamard überall auf der Welt den unbeirrten, friedlichen Widerstand von Aktivisten oder Journalisten.
Corona hat Ungleichheit weiter verschärft
Bei der Corona-Pandemie wirft Amnesty Politikern aus Industriestaaten Heuchelei vor. Westliche Staaten hätten beim Rennen um Impfstoffe mit Grossunternehmen gemeinsame Sache gemacht und so die Ungleichheit zwischen armen und reichen Ländern verschärft. Während Pharmakonzerne enorme Profite verzeichnet hätten, hätten die USA oder europäische Industriestaaten Impfstoffe gehortet. Obwohl es genug Impfstoff für die gesamte Weltbevölkerung gegeben habe, seien zum Jahresende 2021 in den armen Ländern nur vier Prozent der Bevölkerung geimpft gewesen. In Afrika stiessen Gesundheitssysteme oft an ihre Grenzen.
Der Kontinent habe in der Pandemie daher einen hohen Preis zahlen müssen. Callamard betonte, dass die Organisation als Geste der Anerkennung Südafrikas Wirtschaftsmetropole Johannesburg als Ort ihrer internationalen Pressekonferenz gewählt habe. «2021 hätte ein Jahr der Heilung und Erholung werden sollen; stattdessen wurde es zu einem Inkubator für tiefere Ungleichheit und grössere Instabilität, ein ätzendes Vermächtnis für die kommenden Jahre», klagte Callamard.
Kritisch sieht Amnesty auch die Rolle der sozialen Medien und der sie tragenden Unternehmen während der Pandemie. Sie hätten Covid-19-Falschinformationen aller Art einen fruchtbaren Boden bereitet. Die Menschenrechtler rügen zudem die Lage für ausländische Arbeiter bei Fussball-WM-Gastgeber Katar und kritisieren auch beim Recht auf freie Meinungsäusserung zunehmende Beschränkungen in vielen Ländern.