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EWZ-Direktor: «Jede eingesparte Kilowattstunde hilft uns im Winter»

12.09.2022, 06:19 Uhr
· Online seit 12.09.2022, 05:38 Uhr
Wie gravierend ist der Strommangel wirklich? Müssen wir damit rechnen, dass der Strom phasenweise abgeschaltet wird? Benedikt Loepfe, Direktor des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich (EWZ), beantwortet im Gespräch mit ZüriToday und Radio 24 die wichtigsten Fragen rund um die Energiekrise.

Quelle: TeleZüri / Sendung vom 6. September 2022

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Herr Loepfe, ganz offen gefragt: Warum ist der Strom derzeit so knapp?

Aktuell ist es ein «tödlicher Mix», wenn man das so sagen kann. In Frankreich sind rund 40 Prozent aller Kernkraftwerke nicht mehr am Netz, andere Export-Länder verzeichnen ebenfalls Engpässe. Gleichzeitig hat ganz Europa diesen Sommer extreme Dürre leiden müssen. So ist über 50 Prozent der Gesamtproduktion in Frage gestellt. Dass der Energiemangel bereits jetzt eintrifft, mag einige überraschen. Verschiedene Experten haben aber schon früher davon gewarnt  – vielleicht wollte man einfach nicht hinhören.

Man wusste also bereits, dass eine reelle Gefahr besteht...

Ja, und darauf sind wir als Branche auch vorbereitet. Wir wissen, wie wir zu agieren haben. Es liegt nun an uns, eine komplette Energiekrise zu verhindern.

Was ist denn die momentane Ist-Situation in der Schweiz?

Wir können die Schweiz nicht als Insel betrachten – der Energiemarkt funktioniert kontinental. Das heisst: Wenn Europa funktioniert, dann funktioniert auch die Schweiz. Wir als Schweiz müssen schauen, dass wir zum richtigen Zeitpunkt genügend Strom produzieren oder zumindest beziehen können. Hierfür sind wir in Europa voneinander abhängig. Mit vielen verschiedenen Techniken helfen wir einander aus – vor allem unsere Wasserkraftwerke werden im Winter eine Schlüsselrolle einnehmen. Die Betreiber schauen jetzt, dass diese möglichst gut gefüllt werden. Dann sollten wir bereit für die kalten Monate sein.

Könnten diese Wasserkraftwerke den Unterschied ausmachen?

Ja, die Wasserenergie ist ein wunderbarer Speicher. Wie bereits gesagt, wir hatten eine Rekorddürre im Sommer. Der Zufluss der Limmat ist auf einem historischen Tiefstand. Das ist wirklich krass. Deshalb mussten wir in den letzten Monaten zusätzlichen Strom einkaufen. Das hat unsere Geschäftszahlen ein wenig getrübt. Die Versorgungssicherheit hat nun aber definitiv Vorrang. Was ich sagen kann: Wir als EWZ sind bereit. Ob andere Stromverteiler bereit sind, werden wir jetzt sehen.

Welche Faktoren spielen hierbei eine Rolle?

Wir sehen aktuell sehr hohe Marktpreise, zum Teil das 15-Fache von den eigentlichen Preisen. Die Nachfrage ist gross, das Angebot kann sie nicht decken. Die Liquidität ist nicht mehr gewährleistet. Wir spüren, dass grosse Unsicherheit auf dem Markt herrscht. Und Unsicherheit kostet. Deutschland fährt aktuell seine Kohlekraftwerke wieder hoch, die Schweiz nimmt thermische Kraftwerke wieder in Betrieb. Die Frage ist aber, ob es zeitlich reicht.

Welchen Beitrag kann die Bevölkerung leisten?

Ich mache ein Beispiel: Vorher bin ich an einem Coiffeur-Laden vorbeigelaufen, und vorne an der Türe, die offen war, stand ein Kühlgerät. Das ist überhaupt nicht effizient. Wenn man das Gerät abstellt oder die Türe schliesst, schadet das ganz sicher niemandem. Es sind kleine Dinge, die jeder Einzelne von uns tun kann. Und zwar ohne Komfort-Einbusse. Weniger lang duschen, beim Kochen den Deckel auf die Pfanne stellen, alte Elektrogeräte ersetzen... das sind sind die gängigsten Tipps.

Bringt das wirklich was?

Ja. Der Einzelne mag vielleicht nicht viel bewirken. Aber Zürich hat eine halbe Million Einwohner. Als Kollektiv ist es für uns eben doch viel, und hierfür braucht es jeden Einzelnen. Jede Kilowattstunde, die wir jetzt einsparen können, ist eine mehr, die wir im Winter zur Verfügung haben. Das Risiko ist reell wie noch nie, die Lage ist angespannt. Für uns heisst das: wir müssen uns gut vorbereiten, aber nicht in Panik verfallen.

(mhe)

veröffentlicht: 12. September 2022 05:38
aktualisiert: 12. September 2022 06:19
Quelle: ZüriToday

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