Kein Hilfspaket

«Wir stehen da, als wollten wir die Ukraine im Stich lassen»

09.06.2023, 08:21 Uhr
· Online seit 09.06.2023, 06:39 Uhr
Der Nationalrat lehnte einen Fünf-Milliarden-Kredit für den Wiederaufbau der Ukraine ab. Bei linken Politikerinnen und Politikern ist das Unverständnis gross. GLP-Nationalrat Martin Bäumle stimmte nur dafür, um kein falsches Signal zu senden.
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Die Zerstörung in der Ukraine ist nach bald eineinhalb Jahren Krieg gross. Ganze Ortschaften wurden dem Boden gleichgemacht und unzählige Häuser sind nur noch Ruinen. Dazu kommen die verheerenden Überschwemmungen, die der kürzlich zerstörte Kachowka-Damm im russisch kontrollierten Teil der südukrainischen Region Cherson ausgelöst hat.

Der Wiederaufbau des Landes, der zurzeit noch in weiter Ferne ist, dürfte Jahre dauern. Dennoch hat der Nationalrat am Donnerstag einen Kredit von fünf Milliarden Franken für den Wiederaufbau abgeschmettert. Mit dem Kredit hätte die Schweiz humanitäre Hilfe geleistet, die Zivilbevölkerung geschützt, Friedensförderung betrieben und den Wiederaufbau unterstützt.

«Nehmen unsere Verantwortung nicht wahr»

«Wir nehmen unsere Verantwortung als Schweiz gegenüber einem angegriffenen Land nicht wahr», sagt SP-Nationalrätin Sarah Wyss zur Today-Redaktion. Als neutrales Land verfüge die Schweiz bereits über beschränkte Rechte, um die Ukraine zu unterstützen. «Nun verweigert der Nationalrat auch noch Hilfe, die dringend nötig ist.» Auch die Debatte entsetzte die Nationalrätin. «Die Wortwahl in einigen Voten schockierte mich.» Etwa sei verharmlosend von «Krise» in der Ukraine und nicht von Angriffskrieg die Rede gewesen.

Auch GLP-Nationalrat Martin Bäumle bedauert das Nein der grossen Kammer. «Der Nationalrat hat ein negatives Signal gesendet», sagt er. Die Vorlage habe zwar viele Mängel und sei konzeptlos, sagt er. Er habe sich aber zu einem Ja durchgerungen, weil es ihm um die symbolische Wirkung gegangen sei. Dies, um zu zeigen, dass die Schweiz der Ukraine helfen wolle. «Somit hätte man auch nicht mehr über Waffenlieferungen diskutieren müssen.» Seiner Meinung nach wäre es besser gewesen, die unausgereifte Vorlage nicht einzureichen. «Dann würden wir jetzt nicht dastehen, als wollten wir der Ukraine nicht helfen.»

Vorlage sei unseriös

Ein vehementer Gegner in der Debatte war FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann. Er fordere eine seriöse, faktenbasierte Aussenpolitik und keine Schaufensterpolitik, erklärt er. «Die Kommission hinter der Vorlage konnte nicht beantworten, woher das Geld für den Kredit kommt.» Einen Betrag von fünf Milliarden Franken zu sprechen, ohne den Ausgang des Krieges zu kennen und zu wissen, welche Bedürfnisse danach wirklich bestünden und wie die Zusammenarbeit mit anderen Ländern aussehen werde, sei unseriös.

Im Stich gelassen hat die Schweiz die Ukraine bisher nicht. Laut Aussenminister Ignazio Cassis hat der Bund bisher rund 280 Millionen Franken für die vom Krieg in der Ukraine betroffene Bevölkerung bereits ausgegeben. «Bis Ende nächsten Jahres werden wir voraussichtlich weitere 300 Millionen Franken für die Unterstützung der Ukraine und der Region aufwenden», kündigte er in der Debatte an.

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veröffentlicht: 9. Juni 2023 06:39
aktualisiert: 9. Juni 2023 08:21
Quelle: Today-Zentralredaktion

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