Eine Spurensuche

Warum fürchten wir uns vor dem Tod?

· Online seit 29.01.2022, 09:59 Uhr
Er macht das Leben zu dem, was es ist. Durch ihn wissen wir, dass jeder Tag der Letzte sein könnte. Er ist omnipräsent und trotzdem verdrängen wir ihn gerne aus unseren Gedanken: Der Tod. Wir spüren dem Ende des Lebens nach und sprechen mit Menschen, die täglich damit konfrontiert werden.
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Der Tod ist oftmals ein Tabu. Wir verdrängen die Vorstellung, dass wir irgendwann sterben müssen und dann nicht mehr sind. Doch warum fürchten wir uns vor dem Tod? Was macht ihn zu etwas Bedrohlichem?

Auf diese Frage gibt es keine allgemeingültige Antwort, ist Claudia Jaun, Theologin und Seelsorgerin, überzeugt. Und doch ist die Ausgangslage für alle gleich: «Wir wissen nicht, was auf uns zukommt.» Wir wüssten zwar, dass wir alle irgendwann sterben müssen, dass der Tod das Leben auf der Erde beendet, aber wie dieses Ende aussieht, das wüssten wir nicht mit Sicherheit. Auch weil wir keine Erfahrungswerte besitzen. Und genau diese Ungewissheit mache Angst.

Vorstellungen von Tod können helfen

Die Personen der Fachgruppe Palliative Care der Spitex Sempach und Umgebung werden tagtäglich mit dem Tod und der Furcht davor konfrontiert. Ihrer Meinung nach spielt noch etwas anderes in die Angst mit hinein. Nämlich der Gedanke, dass wir den Tod nicht kontrollieren können. «Er übersteigt unser Fassungsvermögen und unseren Verstand», sagt die Fachgruppe Palliative Care der Spitex Sempach und Umgebung. Und vielleicht habe die Angst auch damit zu tun, «dass wir verlernt haben zu glauben, dass nach dem Tod etwas Gutes kommt.»

Von dem, was nach dem Tod kommt, davon hat jeder Mensch eine andere Auffassung. «Die eigenen Erfahrungen und Erlebnisse prägen die Vorstellungen vom Tod», so die Theologin Jaun, die in Sempach arbeitet. Und genau diese helfen, mit der Angst umzugehen. Denn: «Die eigenen Vorstellungen vom Tod wie beispielsweise Höllenbilder können dazu beitragen, ob man mehr oder weniger Angst verspürt», so Jaun weiter. Da spielen auch Religionen mit hinein. Sie bieten Traditionen und Rituale an, die den Umgang mit dem Tod und den Sterbeprozess erleichtern können.

Tod als Erlösung

Doch längst nicht alle Menschen fürchten sich vor dem Tod. Gerade für Menschen, die jeden Tag mit starken körperlichen Schmerzen zu kämpfen haben, kann der Tod «eine willkommene Erlösung» sein, berichtet die Fachgruppe Palliative Care auf Anfrage. Sie betreuen Menschen in ihrem Sterbeprozess und machen dabei «sehr wertvolle, intensive und bereichernde Erfahrungen.» Dabei ist jede Begleitung sehr individuell und kann auch sehr unberechenbar sein. Das bestätigt auch Claudia Jaun. «Jeder Mensch geht den eigenen Sterbeweg.»

Sterben wird vermieden

Dass der Tod in unserer Kultur häufig als etwas Negatives bewertet wird, hat mehrere Gründe. Einerseits werden wir selten mit dem Tod konfrontiert und haben so verlernt, damit umzugehen. «Das Leben im Diesseits zählt alles und man möchte nicht loslassen», sagt die Fachgruppe Palliative Care. Und die Theologin ergänzt: «Der Tod darf nicht sein, wir machen alles, um ihn zu vermeiden.» Zudem sei unsere hoch entwickelte Medizin darauf ausgerichtet, das Leben zu erhalten. «Der Tod galt lange als Niederlage der Medizin», so die Theologin. Die Haltung der Gesellschaft, dass man nicht mehr sterben darf, ändere sich aber laut Jaun langsam, auch dank der Palliative Care. «Immer mehr Menschen verspüren das Bedürfnis, sich mehr mit dem Sterben und dem Tod auseinanderzusetzen und dies als etwas Natürliches anzusehen.» Dabei nehme die Selbstbestimmung, wie und wann man sterben will, eine wichtige Rolle ein.

Mit dem Tod hängt auch die Trauer zusammen, der Schmerz, den der Verlust einer geliebten Person auslöst. «Das Zurücklassen der Angehörigen oder Liebsten lässt den Tod als etwas Negatives erscheinen», erzählt die Fachgruppe Palliative Care. Doch Trauern ist ein wichtiger Prozess, den die Hinterbliebenen durchlaufen. Dabei sei es laut Jaun wichtig, sich Zeit zu nehmen für die Trauer. «Auch gemeinsam um eine verstorbene Person trauern kann sehr tröstlich sein», erzählt die Theologin.

Eins haben das Sterben und die Trauer auf jeden Fall gemeinsam: «Es gibt kein ideales Sterben und kein ideales Trauern. Wir müssen uns von diesen idealen Vorstellungen lösen», so Jaun.

veröffentlicht: 29. Januar 2022 09:59
aktualisiert: 29. Januar 2022 09:59
Quelle: PilatusToday

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