Doppelt so oft erwerbstätig

Ukrainerinnen und Ukrainer überholen andere Geflüchtete bei Jobsuche

24.08.2022, 22:35 Uhr
· Online seit 23.08.2022, 17:43 Uhr
Personen mit Schutzstatus S haben in der Schweiz fast doppelt so oft einen Job wie anerkannte Geflüchtete und vorläufig Aufgenommene. GLP-Nationalrat Martin Bäumle will Fehlanreize abschaffen, um die Erwerbslage anderer Geflüchteter zu verbessern.

Quelle: Keystone-SDA

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Nach ihrer Flucht träumten viele Ukrainerinnen und Ukrainer von einem geregelten Alltag in der Schweiz. Zahlreichen ist dies gelungen. Nach sechs Monaten haben über 3600 Geflüchtete mit Schutzstatus S einen Job in der Schweiz ergattert. Das sind im Vergleich zu anerkannten Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen prozentuell fast doppelt so viele. Bei vorläufig Aufgenommenen handelt es sich um Personen, die zwar die Flüchtlingseigenschaft erfüllen, denen aber aufgrund von Asylausschlussgründen kein Asyl gewährt wird.

Rund elf Prozent beträgt die Erwerbstätigenquote von Personen mit Schutzstatus S, während es bei anerkannten Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen rund sechs Prozent sind, wie das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement am Dienstag in einer Medienmitteilung schrieb.

Höhere Qualifikationen

Seit die Schweiz den Schutzstatus S aktivierte, wurde immer wieder Kritik laut, dass ukrainische Flüchtlinge gegenüber anderen Flüchtlingen Privilegien geniessen und deshalb auch viel schneller einen Job finden. So müssen Personen mit Schutzstatus S kein ordentliches Asylverfahren durchlaufen, bekommen ohne Wartefrist direkten Zugang zum Arbeitsmarkt und erhalten Sozialhilfe.

Justizministerin Karin Keller-Sutter führt die erfolgreiche Jobsuche der Ukrainerinnen und Ukrainer vielmehr auf deren Qualifikationen zurück. Diese seien höher als bei anderen Flüchtlingsgruppen, sagte sie an einer Medienkonferenz am Dienstag. Ähnliche Gründe vermutet GLP-Nationalrat Martin Bäumle, der mit einer Ukrainerin verheiratet ist und vor dem Kriegsausbruch regelmässig in die Ukraine reiste.

Bäumle rät davon ab, die beiden Erwerbstätigenquoten zu vergleichen. Die Geflüchteten brächten unterschiedliche Voraussetzungen mit. «Viele jüngere Ukrainerinnen und Ukrainer sprechen gut Englisch oder Deutsch und haben eine gute Ausbildung». Flüchtlinge mit B-Status hätten dagegen oft Mühe bei der Jobsuche, weil sie zu wenig Englisch und Deutsch beherrschten und eine Ausbildung hätten, die mit den schweizerischen Anforderungen nicht oder weniger kompatibel sei.

«Netto bleibt da wenig übrig»

Bäumle empfindet es als unbefriedigend, dass Geflüchtete mit B-Status bei der Jobsuche oft kämpfen und deshalb «der Sozialhilfe auf der Tasche liegen». Auch Flüchtlinge aus Ländern, die der Schweizer Kultur weniger nah seien, sollten eine Beschäftigung haben und ihr eigenes Geld verdienen. «Doch dafür müssen wir Fehlanreize abschaffen», fordert Bäumle.

Wer arbeite, müsse sofort Miete, Steuern, AHV- und Krankenkassenbeiträge bezahlen, sagt der Politiker. «Netto bleibt da wenig übrig, sodass es fast lukrativer ist, Sozialhilfe zu beziehen, als für einen Job zu kämpfen.» Bäumle schlägt deshalb vor, die Attraktivität für Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt zu steigern. «Zum Beispiel müsste der Staat Anreize setzen, sodass sich Arbeiten tatsächlich auch finanziell auszahlt.»

Einfachere Diplomanerkennung helfe

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) bezeichnet die Erwerbstätigenquote von rund elf Prozent bei Personen mit Status S angesichts der Kürze der Zeit als erfreulich. Neben der Offenheit der Arbeitgebenden und den Voraussetzungen, die Geflüchtete allenfalls mitbrächten, helfe dabei der sofortige Zugang zu Sprachkursen ohne lange Wartezeiten, sagt Peter Meier, Leiter Direktionsstab Politik und Medien bei der SFH. «Aber auch die Privatunterbringung trägt häufig dazu bei: So unterstützen Gastfamilien die Geflüchteten etwa mitunter auch beim Spracherwerb oder bei der Jobsuche.»

Die SFH sieht bei der Integration von Flüchtlingen ohne Schutzstatus S Verbesserungsbedarf. Neben Integrationsmassnahmen könnten auch etwa eine einfachere Diplomanerkennungen, ein erleichterter Zugang zu Hochschulen, Basisqualifikation in unterschiedlichen Branchen, Möglichkeiten für gesundheitlich beeinträchtigte und für ältere Personen sowie Kinderbetreuungsangebote für Alleinerziehende die Jobsuche erleichtern.

Positiven Status gefordert

Die SFH nimmt aber auch die Arbeitgebenden in die Pflicht. Es brauche eine weitere Sensibilisierung, sagt Meier. Für das Gelingen der Integration sei zudem entscheidend, dass die Betroffenen eine sichere Perspektive hätten. Dies sei aber etwa insbesondere beim Status der vorläufigen Aufnahme nicht der Fall. «Im Gegenteil: Die vorläufige Aufnahme ist nachweislich hinderlich für die Integration der Betroffenen – auch in den Arbeitsmarkt, zumal die Bezeichnung irreführend ist, da ein Grossteil der vorläufig Aufgenommenen erfahrungsgemäss längerfristig in der Schweiz bleibt.»

Die SFH fordert laut Meier die gleichen grosszügigen Statusrechte für sämtliche Schutzberechtigten in der Schweiz. «Die vorläufige Aufnahme ist durch einen positiven Schutzstatus zu ersetzen.»

veröffentlicht: 23. August 2022 17:43
aktualisiert: 24. August 2022 22:35
Quelle: Today-Zentralredaktion

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