Strassenverkehr

Nationalrat schafft Mindestfreiheitsstrafe für Raser ab

· Online seit 09.03.2022, 17:50 Uhr
Bei Raserdelikten sollen die Gerichte wieder einen Ermessensspielraum erhalten. Der Nationalrat hat die schon im Herbst 2021 beschlossene Abschaffung der Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr nun bestätigt. Auch der Entzug des Führerausweises wird massiv verkürzt.
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Der Bundesrat schlägt auf Geheiss des Parlamentes vor, den 2013 im Rahmen des Verkehrssicherheitspaketes «Via sicura» eingeführten Raserartikel zu entschärfen. Geschaffen wurde dieser, um Tempo-Exzesse auf den Strassen härter zu bestrafen. Dank diesem indirekten Gegenvorschlag des damaligen Parlamentes hatte die Stiftung Roadcross ihre Raser-Initiative zurückgezogen.

Kritiker monieren allerdings schon länger, der Gesetzgeber nehme den Richtern mit dem starren Automatismus jeglichen Beurteilungsspielraum. Der Nationalrat beschloss deshalb am Mittwoch mit 148 zu 38 Stimmen bei 2 Enthaltungen, künftig auf die Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr zu verzichten. Er bestätigte damit seinen Entscheid vom letzten Herbst im Rahmen der Vorlage zur Harmonisierung der Strafnormen.

«Kaum so nebenbei»

Michael Töngi (Grüne/LU) wandte sich erfolglos gegen die Abschaffung der Mindestfreiheitsstrafe. Diese komme glücklicherweise recht selten zur Anwendung, denn es fahre «kaum jemand so nebenbei» mit 200 Kilometern pro Stunde (km/h) über die Autobahn oder mit 100 km/h durch ein Dorf. Es sei also eine massive willentliche Übertretung.

Die Gerichte hätten heute schon einen Ermessensspielraum mit einem Strafrahmen von einem bis vier Jahren Freiheitsstrafe. Es sei vollkommen falsch, «Via sicura» mit den vorgesehenen Massnahmen abzuschwächen. Es stürben immer noch zu viele Menschen auf den Strassen.

Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga mahnte den Rat, nicht nach drei Monaten das Gesetz schon wieder zu ändern und wandte sich ebenfalls gegen Töngis Antrag.

Mindestdauer für Ausweisentzug verkürzt

Zudem senkte der Nationalrat die Dauer für den Führerausweisentzug von 24 auf 12 Monate und folgte damit dem Bundesrat. Die Kommission wollte sogar nur noch 6 Monate ins Gesetz schreiben, scheiterte aber mit 94 zu 92 Stimmen bei 2 Enthaltungen. Minderheitsanträge für die derzeit geltende Frist oder für 18 Monate wurden deutlich abgelehnt.

Marco Romano (Mitte/TI) bezeichnete die geltende Regelung mit mindestens 24 Monaten als «drakonisch» und unverhältnismässig. Insgesamt würden die Strafen mit einer Senkung auf 6 Monate ja nicht reduziert, sondern nur die Mindeststrafe. Es brauche in jedem Fall eine Einzelfallbetrachtung und den entsprechenden Spielraum.

Die Reduktion der Mindestdauer für den Führerausweisentzug sei unnötig und fahrlässig, sagte Jon Pult (SP/GR). Der Vorschlag der Kommissionsmehrheit schlage dem Fass aber noch den Boden raus. Bei Geschwindigkeitsexzessen handle es sich nie um Bagatellen. Raser dürften definitiv nicht geschont werden.

Es gehe seiner Fraktion nicht darum, die Raser zu schützen, diese sollten bestraft werden, sagte Thomas Hurter (SVP/SH). Wie in jedem anderen Bereich müsse es aber auch hier mehr Ermessensspielraum geben.

Laut Sommaruga geht es um «krasse und vorsätzliche Verletzungen von elementaren Verkehrsregeln». Ein Mindestentzug des Fahrausweises von 12 Monaten sei deshalb «absolut angemessen». Auch in der Vernehmlassung habe sich die grosse Mehrheit der Teilnehmenden gegen 6 Monate ausgesprochen.

Erleichterungen für Blaulichtfahrer

Weniger streng beurteilt werden soll auch, wenn Blaulichtfahrer viel schneller fahren als erlaubt. Gemäss Vorschlag der Kommission soll für die Strafbarkeit lediglich die Differenz zur Geschwindigkeit herangezogen werden, die für den Einsatz angemessen gewesen wäre. Diesem Vorschlag folgte der Nationalrat mit 112 zu 73 Stimmen bei 3 Enthaltungen.

Sommaruga räumte zwar ein, dass es «pressiert, wenn es brennt». Aber es seien halt doch Fahrer schon wegen unzulässigen Überschreitungen verurteilt worden. Rasergeschwindigkeiten müssten auch mit Blaulicht tabu bleiben. Die Gerichte sollen eine Strafe immer mildern bei unzulässigen Geschwindigkeitsüberschreitungen.

Weiter enthält die Revision Bestimmungen zum automatisierten Fahren und der Förderung umweltfreundlicher Technologien. Dagegen gab es im Nationalrat keinen namhaften Widerstand. Keine Chance hatten Anträge der Grünen, die im Bereich des automatisierten Fahrens Auflagen einbauen wollten, weil die Technik noch nicht sicher sei. Namentlich wollten sie diese Fahrzeuge nur auf Strecken ohne Mischverkehr eingesetzt sehen.

Gegen Denk- und Technologieverbote

Die Sprecher von SVP und Mitte wehrten sich allerdings gegen «Denk- und Technologieverbote» in diesem Bereich. Den GLP war diesbezüglich wichtig, dass die Haftungsfrage bei Unfällen sauber geregelt werden kann. Und sie freuten sich darüber, dass dies eine Gesetz sei, das für einmal nicht von einer pessimistischen Sichtweise geprägt sei.

Sommaruga sagte dazu, die bisherigen Versuche zeigten, dass die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt werde. «Der Matteschnägg in Bern wäre sonst nie aus seinem Schneckenhaus herausgekommen», meinte sie zu einem entsprechen Versuch unter realen Bedingungen in Bern.

veröffentlicht: 9. März 2022 17:50
aktualisiert: 9. März 2022 17:50
Quelle: sda

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