Arbeitszeit

Linke kämpfen für die 35-Stunden-Woche – Bundesrat winkt ab

27.07.2022, 09:36 Uhr
· Online seit 27.07.2022, 09:34 Uhr
Ein Deutscher SPDler will die Arbeitszeit hochschrauben, für die Schweizer Bevölkerung fordert SP-Nationalrätin Tamara Funiciello hingegen tiefere Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich. Es zeigt sich: Der Personalmangel spitzt sich zu, Schweizerinnen und Schweizer arbeiten aber weniger als früher.
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Sigmar Gabriel, ehemaliger Aussenminister Deutschlands und SPD-Chef, präsentierte den Vorschlag, die Wochenarbeitszeit von 40 auf 42 Stunden zu erhöhen. Mit Zuwanderung allein könne das Land den Fachkräftemangel nicht lösen, begründete er seine Forderung. Der Deutsche Gewerkschaftsbund qualifizierte den Vorschlag als «billige Scheinlösung». In der Schweiz machen sich derweil Gewerkschaftskreise und linke Politiker für die 35-Stunden-Woche stark. Dies berichtet die «Aargauer Zeitung».

Weniger Stress und mehr Gleichstellung

Die Berner SP-Nationalrätin Tamara Funiciello fordert den Bundesrat in einem Vorstoss dazu auf, die Wochenarbeitszeit innert zehn Jahren auf 35 Stunden pro Woche zu senken – bei vollem Lohnausgleich für tiefe und mittlere Löhne. Die frühere Juso-Chefin verspricht sich mit dieser Massnahme unter anderem weniger Stress, mehr Gleichstellung sowie mehr Klimaschutz.

Im Zürcher Stadtparlament verlangen die SP und die Alternative Liste, dass die Stadt Zürich bei den eigenen Angestellten die 35-Stunden-Woche testet. Auch interessierte Firmen aus der Privatwirtschaft sollen damit Erfahrungen sammeln. Vermehrt berichten Medien auch über Unternehmen, die von sich aus die Viertagewoche einführen.

Gegen tiefere Arbeitszeiten spricht sich der Bundesrat aus. Die Schweizer Arbeitsmarktpolitik zeichne sich durch einen grossen Spielraum für Verhandlungslösungen aus, schreibt er in der Antwort auf Funiciellos Vorstoss. Der flexible Rahmen biete gute Voraussetzungen für die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen, für eine hohes Produktivitäts- und Lohnniveau und hohen Wohlstand.

Schweizer Bevölkerung arbeitet weniger

Das Arbeitsgesetz in der Schweiz lässt 45 Stunden pro Woche zu. Doch die 40-Stunden-Woche gilt als Norm, mit Unterschieden je nach Branche. Ein Blick auf umfangreiches Datenmaterial des Bundesamtes für Statistik offenbart, dass dieser Wert in der Realität sogar unterboten wird, wie die «Aargauer Zeitung» berichtet. So betrug die wöchentliche Arbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigten im letzten Jahr 39,4 Stunden. Das sind 2,2 Stunden weniger als vor zehn Jahren.

Dass die Menschen in der Schweiz immer weniger arbeiten, legt auch eine andere Zahl offen: Zwischen 2010 und 2019 sank die tatsächliche Arbeitszeit pro erwerbstätiger Person um 7,4 Arbeitstage. Für diesen Rückgang nennt das Bundesamt für Statistik folgende Gründe: mehr Teilzeit, mehr Ferien, weniger Überstunden.

Doch kann sich die Schweiz mehr Teilzeit, mehr Freizeit und weniger Überzeit leisten? Tatsache ist: Wie in Deutschland suchen die Arbeitgeber fieberhaft nach Fachkräften. Es gibt – das ist eine historische Konstellation – mehr offene Arbeitsstellen als Arbeitslose. Der Personalmangel wird sich noch zuspitzen. Gemäss einer Studie der UBS fehlen bis in zehn Jahren bis 500'000 Arbeitskräfte.

(hap)

veröffentlicht: 27. Juli 2022 09:34
aktualisiert: 27. Juli 2022 09:36
Quelle: Aargauer Zeitung

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