Öffentlicher Verkehr

Konsumentenschutz ist «entsetzt» über neues Ticketsystem

27.04.2023, 08:50 Uhr
· Online seit 27.04.2023, 08:38 Uhr
Im Pilotprojekt «myRide» testet die Alliance Swisspass einen sogenannten «intelligenten Digitaltarif». Dieser soll den Ticketkauf vereinfachen und den Umstieg auf elektronische Billette vorantreiben. Der Konsumentenschutz wertet die Pläne ganz anders.
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Die Ticket- und Abolandschaft im öffentlichen Verkehr ist kompliziert: Im Tarifdschungel das richtige Billett zu finden, ist schwierig, und bisweilen sind die Preise intransparent. Je nach gelöstem Ticket resultieren für dieselbe Strecke unterschiedliche Preise. Auch die GA, Halbtax-Abos und Verbundabos sind zu wenig flexibel.

Welches Abo oder Ticket die beste Wahl ist, bleibt damit für viele Kundinnen und Kunden ein Rätsel. Das schrecke potenzielle ÖV-Nutzer ab, ist die Branchenorganisation Alliance Swisspass überzeugt – erst recht, seit sich das Mobilitätsverhalten seit der Pandemie stark verändert hat und der öffentliche Verkehr beim Freizeitverkehr zulegen will.

Deshalb lanciert die Alliance Swisspass eine zweijährige Pilotphase für einen «intelligenten Digitaltarif». Die Idee des Projekts «myride»: Die Kundschaft muss sich nicht mehr vor der Reise entscheiden, welches Billett oder Abo sie kaufen will. Stattdessen zeichnet eine App ihr sogenanntes «Reisetagebuch» auf und rechnet im Nachhinein den Tarif aus. So berichtet die «Luzerner Zeitung».

Der Unterschied zu «Easyride»

Eine ähnliche Lösung bietet heute bereits die Funktion «Easyride». Der digitale «E-Tarif» entwickelt dieses System weiter, unterscheidet sich aber in wesentlichen Punkten. Während «Easyride» nachträglich ein passendes Billett aus dem existierenden Sortiment kauft, ist die neue Lösung flexibler: Sie kreiert ein neues Sortiment, das sich laufend an das Konsumverhalten anpasst. Sie berücksichtigt die gefahrenen Kilometer, rechnet die Nutzung über längere Perioden ab, belohnt Vielfahrer und soll eine höhere Transparenz bei den Preisen schaffen.

Ob dieser «intelligente Digitaltarif» ein Kundenbedürfnis ist, will die Branche nun in der zweijährigen Pilotphase herausfinden. In diesen Tagen sind Nutzerinnen und Nutzer des Zürcher Z-Pass-Gebiets für einen Test angeschrieben worden. Ende 2024 entscheidet die Branche dann, ob sie das Angebot flächendeckend ausrollt.

Dabei blieben klassische Tickets und Abos weiterhin erhältlich. Wer ein GA, Halbtax oder Streckenabo hat, kann dieses weiterhin regulär kaufen und nutzen. Auch Billettkäufe am Automaten bleiben möglich. Die neue App existiert, sofern die Tests erfolgreich verlaufen, als alternativer Vertriebskanal. Längerfristig ist es aber das erklärte Ziel der Branche, dass möglichst viele Kundinnen und Kunden darauf umsteigen. Damit schliesst die Branche an ihre Vision an, bis 2035 praktisch nur noch digitale Tickets zu verkaufen und das Angebot an klassischen Automaten herunterzufahren.

«Vernebelung, Vertuschung und Verwirrung»

Der Kauf eines Billetts dürfte sich in den nächsten Jahren stark verändern - sofern die Kundschaft mitzieht und das neue Angebot auf Anklang stösst. Wenn nicht, müssen die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs über die Bücher. Das ist der Alliance Swisspass durchaus bewusst: «Wir befinden uns in einem Experiment. Es kann auch völlig anders herauskommen als erwartet.»

Das Gegenteil von fairen Preisen befürchtet Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz. Gegenüber «20 Minuten» sagt sie: «Ich bin entsetzt über die Entwicklung. Das ist Vernebelung, Vertuschung und Verwirrung der Konsumentinnen und Konsumenten», sagt Stalder zu 20 Minuten.

(hap)

veröffentlicht: 27. April 2023 08:38
aktualisiert: 27. April 2023 08:50
Quelle: Today-Zentralredaktion

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