Gabriela Schürch ist 58 Jahre alt, wohnt seit mehreren Jahrzehnten in der Stadt Wil – und ist seit Geburt an komplett blind. Schürch meistert ihr Leben so gut es geht selbstständig, arbeitet in ihrem Traumberuf in der IT-Branche. Dennoch ist die 58-Jährige bei vielen alltäglichen Sachen auf Unterstützung angewiesen.
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So beispielsweise beim Einkaufen. Denn die Wilerin kann sich zwar im Laden mehr oder weniger zurechtfinden, allerdings die Produkte nicht erkennen. Ob die Schoggi beispielsweise dunkel oder weiss ist, ist für Schürch nicht nachvollziehbar. Zudem sind die Produkte auch nicht in Blindenschrift beschriftet. Daher benötigt sie eine Person, die mit ihr den Einkauf tätigt.
Im Coop oder Denner sei dies kein Problem, wie Schürch gegenüber FM1Today erklärt. Anders sieht es aber in der Migros Wil aus. «Dort muss ich mich telefonisch anmelden, was schon sehr unüblich ist. Bei Coop oder Denner kann ich einfach vorbeigehen», schildert Schürch die Situation gegenüber FM1Today. Spontan in der Migros «pöschtele»? Fehlanzeige!
Keine Zeit für Blinde
Mehrmals wurde ihr der Einkauf in der Wiler Filiale verweigert. Beispielsweise wollte Schürch anfangs April nach dem Coiffeurbesuch in der Migros noch etwas besorgen. Angemeldet hat sie sich aber nicht. An der Kundeninformation fragte sie dann die Angestellte, ob jemand mit ihr kurz einkaufen könnte. Die Antwort: «Nein, wir haben keine Zeit. Sie müssen wieder gehen.» Schürch konnte es kaum fassen: «Ich fragte sie, ob das ihr Ernst sei – und sie sagte ja.»
Warum das Personal keine Zeit hatte, konnte sie nicht nachvollziehen, denn viele Leute habe es nicht gehabt: «Ich bin zwar blind, aber nicht blöd.» Weiter erklärt Schürch, dass sie für einen durchschnittlichen Einkauf auch nicht mehr als 20 Minuten benötige. Und selbst als sie nur mal Kaffee holen wollte, wurde sie weggeschickt.
Schürch verliess daraufhin den Laden und erzählte ihr Erlebnis einer Freundin. Diese rief danach bei der Migros an und beschwerte sich. Die fehlbare Angestellte wollte sich dies aber nicht bieten lassen und verwies sie an die Filialleiterin, welche Schürch zu einem Kaffee einlud. Davon wollte Gabriela Schürch aber nicht eingehen. Der Grund: «Das habe ich bereits beim letzten Wechsel der Filialleitung gemacht und es hat nichts gebracht.»
Infoline hilft
Schürch wandte sich danach an die Migros-Infoline. Dort fiel die Reaktion gemäss Schürch aber ein bisschen anders aus: «Der Herr am Telefon hat sich mehrfach dafür entschuldigt. Er sagte, er habe fast Tränen in den Augen, er könne das kaum glauben, dass man mir nicht half.»
Der Anruf zeigte Wirkung. Denn kurz darauf meldete sich erneut die Filialleiterin der Wiler Migros. «Sie hat mich nochmals nach einem Kennenlern-Gespräch gefragt und mir versichert, dass ich in Zukunft ohne Anmeldung einkaufen kann», sagt Schürch. Diesmal nahm Schürch die Einladung an. Der Kaffee steht aber noch aus.
Migros spricht von Missverständnis
Die Migros Ostschweiz bestätigt auf Anfrage einen solchen Vorfall. Es sei aber keine Absicht gewesen, sondern es habe sich um ein Missverständnis einer Mitarbeiterin gehandelt. «Die Mitarbeiterin war der Meinung, dass sie selbst die Begleitung der Kundin übernehmen sollte, was ihr nicht möglich war, weil sie zu diesem Zeitpunkt alleine am Kundendienst anwesend war», teilt die Migros mit.
Als die Marktleiterin über den Vorfall informiert wurde, habe sie Schürch umgehend kontaktiert und ihr zugesichert, dass sie künftig jederzeit einen begleiteten Einkauf machen könne. Die Marktleiterin habe die betreffende Mitarbeiterin instruiert, dass sie die Begleitung der Kundin auch einer anwesenden Kollegin oder einem anwesenden Kollegen übergeben dürfe. Dies entspreche auch den Richtlinien der Migros Ostschweiz, die vorsehen, dass Menschen mit Beeinträchtigung bei Einkäufen begleitet und unterstützt werden.
Schürch hegt keinen Groll
Schürch betont im Gespräch mehrmals, dass sie grundsätzlich nichts gegen die Migros habe. Lediglich das Verhalten der Wiler Filiale ist für sie unhaltbar. Schürch vermutet, dass dies mit der bisherigen Filialleitung zusammenhänge. «Die neue Filialleiterin hat mir am Telefon erklärt, dass sie gar nichts davon wusste. Sonst hätte sie das bereits früher in die Wege geleitet», erklärt Schürch.