Luft abgeschnürt

In der Schweiz ersticken jährlich Dutzende Menschen an Speisebrocken

08.04.2023, 19:21 Uhr
· Online seit 06.04.2023, 18:58 Uhr
Ein Schüler starb im Zug, weil ihm ein Bissen im Hals stecken blieb. Hierzulande kommt es pro Jahr zu rund 100 ähnlichen Todesfällen. Ein Facharzt des Inselspitals Bern klärt auf.
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Ein Snack wurde einem 19-jährigen Schüler aus Sion zum tödlichen Verhängnis. Er starb auf einer Schulreise im Zug in Italien an einer Atemwegsblockade, weil ihm ein Bissen im Hals stecken blieb. Jede Hilfe kam zu spät. Das tragische Ereignis schockierte viele Leserinnen und Leser.

Es ist nicht das einzige prominente Beispiel dafür, dass beim Verzehr von Speisen Vorsicht geboten ist. Im Jahr 2009 erstickte der dreijährige Adoptivsohn des Zürcher Schriftstellers Martin Suter beim Mittagessen an einem Wurstzipfel. Anfang Jahr sorgte der Tod einer 90-jährigen Japanerin für Schlagzeilen. Ein Reiskloss, ein sogenanntes O-Mochi, schnürte ihr die Luft ab, weil es ihr im Hals steckenblieb. Zu tödlichen Erstickungsanfällen an den traditionell zu Neujahr verspeisten Klössen kommt es in Japan regelmässig.

«Langsam essen und kauen ist wichtig»

Erstickungsanfälle infolge von Speisestücken, die in die Luftröhre gerutscht sind, kommen in der Schweiz häufiger vor als gedacht. «In der Schweiz passiert es schätzungsweise rund 100 Mal pro Jahr, dass Menschen an Fremdkörpern – zum Beispiel Speisen – ersticken», sagt Stephan Ziegenhorn von der Universitätsklinik für Notfallmedizin am Inselspital Bern. Belegt sei die Zahl für Deutschland. «Dort kommt es zirka 1000 Mal pro Jahr zu Todesfällen im Zusammenhang mit Ersticken durch Fremdkörper in den Atemwegen, was höher als allgemein angenommen ist.» Ältere Personen mit Schluckstörungen und kleine Kinder seien eher gefährdet, merkt Ziegenhorn an.

Laut Ziegenhorn besteht beim Verzehr grundsätzlich aller festen und halbfesten Speisen das Risiko, sich daran zu verschlucken. «Wichtig ist deshalb, langsam zu essen und gut zu kauen, damit der Speisebrei im Magen landet.» Werde die Nahrung nicht gut genug gekaut, könne ein Speisebrocken im Rachenbereich stecken bleiben. Auch Reden mit vollem Mund begünstige, dass Speisen in der Luft- statt in der Speiseröhre landeten.

Richtiges Handeln

Heutzutage befindet sich an fast jeder Ecke ein Imbiss. Das grosse Angebot an Convenience-Produkten ermöglicht, spontan überall und jederzeit etwas hinunterzuschlingen. Essen sei eine Nebenbeschäftigung geworden, stellt der Notfallmediziner fest. Angesichts der Gefahr des Verschluckens warnt er davor. «Zum Essen sollte man sich Zeit nehmen und nicht gleichzeitig am Handy oder auf dem Sprung zur nächsten Aktivität sein.»

Speisen bleiben aber nicht nur beim Herunterschlingen stecken. «Auch Kaugummis bergen ein Risiko, zudem verminderte Bewusstseinszustände zum Beispiel schon durch Alkohol», sagt Stephan Ziegenhorn. Bei Kindern kämen noch in den Mund genommene Fremdkörper wie Murmeln oder Batterien hinzu.

Bleibt jemandem eine Speise im Hals stecken, zählt laut Stephan Ziegenhorn jede Minute.

Erste-Hilfe-Kurse seien nötig

Auf keinen Fall sollte man laut Ziegenhorn ein Kind an den Füssen fassen und schütteln. «Das hilft weniger als die anderen beschriebenen Methoden und es besteht die Gefahr von grösseren Schäden.» Auch rät er von Geräten ab, mit denen sich Fremdkörper sollten herausziehen lassen können. «Es ist nicht genügend belegt, dass diese helfen.»

Grundsätzlich empfiehlt der Facharzt jedem Menschen, einen Erste-Hilfe-Kurs zu besuchen oder die Kenntnisse aufzufrischen. «Denn im Notfall bleibt zum Googeln keine Zeit.»

veröffentlicht: 6. April 2023 18:58
aktualisiert: 8. April 2023 19:21
Quelle: Today-Zentralredaktion

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