Stilles Feuern

Hier gibt dir der Boss heimlich den Laufpass

12.11.2022, 14:19 Uhr
· Online seit 12.11.2022, 10:25 Uhr
Das Quiet Quitting hat einen fiesen Verwandten: das Quiet Firing. In diesem Fall ekeln Chefinnen und Chefs ihre Mitarbeitenden subtil raus. Ein Vertreter eines Angestelltenverbands bezeichnet solche Vorgesetzte als feige.
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Auf einen Schlag verlieren über 11'000 Mitarbeitende des Facebook-Konzerns Meta ihren Job. Am Mittwoch teilte der Konzern mit, 13 Prozent seiner Belegschaft entlassen zu wollen. Ganz überraschend kam der Kahlschlag für die Mitarbeitenden allerdings nicht. Bereits am Montag berichtete «The Wall Street Journal», dass Meta Tausende Entlassungen plant.

Vielleicht liessen die Vorgesetzten die Mitarbeitenden aber auch schon länger spüren, dass ihre Zeit im Unternehmen abgelaufen ist. Denn das Quiet Quitting hat einen fiesen Verwandten: das Quiet Firing. Im Gegensatz zum Quiet Quitting, bei dem Angestellte innerlich gekündigt haben und nur noch Dienst nach Vorschrift machen, sitzt beim Quiet Firing wieder der Boss am längeren Hebel.

Anzeichen für Quiet Firing

Mit den Worten «Rausekeln hat jetzt einen neuen Namen» stellt die deutsche Psychologin und Psychotherapeutin Nese Oktay-Gür auf dem Business-Netzwerk Linkedin das heimliche Feuern zur Debatte. «Wenn es zwischen Arbeitnehmer:in und Arbeitgeber:in nicht (mehr) passt, ist der faire Ausgang eigentlich klar: eine Lösung suchen, kündigen oder den Vertrag aufheben», schreibt Oktay-Gür im Post.

Doch die Realität sieht laut der Psychologin oft anders aus. Insbesondere sei dies der Fall, wenn es die Arbeit gebende Seite sei, die den Bund des Arbeitsverhältnisses nicht länger tragen wolle. Dann könne es zum Einsatz der «stillen Kündigung» – in diesem Fall «Quiet Firing» – kommen. Die Klientinnen und Klienten suchten bei Oktay-Gür schon oft Rat, weil sie das Gefühl hatten, rausgeekelt zu werden. Im Post listet die Psychologin Beobachtungen der Klienten auf, welche sie Verdacht schöpfen liessen, Opfer von Quiet Firing geworden zu sein. Es sind folgende Verhaltensweisen:

  • Sie werden bei Beförderungen, Gehaltsanpassungen oder -erhöhungen übergangen.
  • Sie bekommen undankbare Aufgaben, die oft nicht in den ursprünglichen Tätigkeitsbereich passen.
  • Sie werden zu Meetings, Projekten, sozialen Aktivitäten nicht mehr eingeladen.
  • Sie bekommen defizitorientiertes Feedback ohne Hilfe und Anleitung zur Verbesserung.

Mitarbeitende haben Rechte

Schweizer Angestelltenverbände kritisieren das Vorgehen scharf. «Es ist völlig daneben und feige von Vorgesetzten, wenn sie auf diese Weise versuchen, ein Problem loszuwerden», sagt Hansjörg Schmid, Mediensprecher von Angestellte Schweiz. Sei eine Chefin oder ein Chef mit der geleisteten Arbeit nicht zufrieden, solle sie oder er sofort das Gespräch suchen. «Es ist das Recht des Mitarbeiters zu erfahren, was das Problem ist.» Nur so hätten Angestellte auch die Chance, sich zu verbessern.

Doch warum weichen Chefinnen und Chefs dennoch auf das stille Feuern aus? Für manche Vorgesetzte sei es unangenehm, Probleme anzusprechen, stellt Schmid fest. «Quiet Firing ist the easy way out.» In diesem Fall hätte der Boss in der Rolle als Führungsperson aber versagt. «Mit der Aufgabe, Mitarbeitende zu führen, hat man auch eine Fürsorgepflicht.» Jemanden rauszuekeln, gehe in Richtung Mobbing oder Bossing.

«Im schlimmsten Fall macht es krank»

Usern auf Linkedin kommt das Phänomen bekannt vor. «Früher hiess das auch mal ‹gegangen werden›», schreibt ein User. Ein anderer spricht ebenfalls aus Erfahrung. Er habe ziemlich alles in der Arbeitswelt erlebt. Als Beispiel nennt er Rausekeln, Kaltstellen und nicht mehr zu Besprechungen eingeladen werden.

Still gefeuert zu arbeiten, hinterlässt bei den Betroffenen Spuren. «Das Gefühl, rausgeekelt zu werden, kann zu grosser Unsicherheit und Stress führen. Im schlimmsten Fall macht es sogar krank», sagt Hansjörg Schmid. Er empfiehlt deshalb auch Angestellten, das Gespräch zu suchen, sollten sie das Gefühl haben, dass der Vorgesetzte sie heimlich schon abgeschrieben habe.

Ist der Schaden schon angerichtet?

Auch Nese Oktay-Gür rät Betroffenen, die Dinge offen anzusprechen. Sie beobachtet, dass Quiet Firing andernfalls zum «erwünschten Verhalten» führt und Arbeitnehmende kündigen. Andere versuchen laut Oktay-Gür sich mit besonders viel Einsatz den Platz am Tisch zurückzuverdienen – dies in der Regel jedoch vergeblich.

Für den User, der in den Kommentaren berichtet, Quiet Firing und Ähnliches schon erlebt zu haben, ist der Schaden dagegen schon angerichtet. «Wenn's soweit ist, dann ist jeder Versuch, die Lage zu verbessern, vergeblich, denn das Vertrauen ist weg», schreibt er. Besser sei es, sich damit abzufinden und seinen eigenen Frieden mit der Lage zu haben, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, nämlich den nächsten Schritt.

Unternehmen hätten Mühe, Stellen zu besetzen

Der Schweizerische Arbeitgeberverband verurteilt Quiet Firing. «Mitarbeitende anzustellen, aber auch Kündigungen auszusprechen, ist eine zentrale Führungsaufgabe und erfordert ein korrektes Verhalten von allen Beteiligten, so auch vom Arbeitgeber», sagt Mediensprecher Andy Müller. Das Verhalten des Arbeitgebers bei der Abwicklung einer Kündigung werde nicht nur vom Betroffenen wahrgenommen, sondern auch von den anderen Mitarbeitenden und könne sich auch auf die Stimmung im gesamten Team auswirken.

Der Arbeitgeberverband kann sich nicht vorstellen, dass Vorgesetzte in der Schweiz Mitarbeitende im grossen Stil heimlich auf die Abschussliste setzen. «Im Moment herrscht auf dem Arbeitsmarkt ein grosser Fachkräftemangel. Unternehmen sind derzeit schon froh, wenn sie ihre Stellen besetzen können», erklärt Müller.

veröffentlicht: 12. November 2022 10:25
aktualisiert: 12. November 2022 14:19
Quelle: Today-Zentralredaktion

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