Nein zur Massentierhaltungsinitiative

«Heuchlerisch und egoistisch» – vermeintliche Tierfreunde stehen am Pranger

26.09.2022, 17:46 Uhr
· Online seit 26.09.2022, 07:05 Uhr
Das Stimmvolk erteilte der Massentierhaltungsinitiative am Sonntag eine klare Abfuhr. Dies in einem Land, wo Hunde Bio-Futter und Katzen Physiotherapie bekommen. Für enttäuschte Befürwortende geht das nicht auf.
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Schon nach wenigen Stunden zeigte sich, dass die Massentierhaltungs-Initiative chancenlos war: Mit deutlichen über 63 Prozent Nein-Stimmen schmetterte das Stimmvolk die Initiative am Sonntag ab.

Die Vorlage verlangte ein Verbot der Massentierhaltung und strengere Mindestanforderungen für eine tierfreundliche Unterbringung und Pflege, den Zugang ins Freie, die Schlachtung und die maximale Gruppengrösse pro Stall. Dasselbe sahen die Initianten für den Import von Tieren und Tierprodukten wie auch von Lebensmitteln mit Zutaten tierischer Herkunft vor.

Mehr Vegetarier und Veganer

Lanciert wurde die Initiative unter komfortablen Bedingungen: Die Schweizer Bevölkerung legt bei der Ernährung immer mehr Wert auf das Tierwohl. Im Jahr 2021 lag der Anteil der Vegetarierinnen und Vegetarier bei rund vier Prozent der Gesamtbevölkerung, wie eine Studie des Statista Research Department zeigt. 2020 waren es noch rund drei Prozent.

Zudem hat sich der Anteil der Veganerinnen und Veganer verdoppelt: Zwischen 2020 und 2021 stieg dieser von 0,3 Prozent auf 0,6 Prozent. Gute Voraussetzungen für die Initiative bot auch die Tatsache, dass die Schweiz in einem Ländervergleich gegenüber anderen europäischen Ländern den höchsten Anteil an Vegetarierinnen und Vegetariern aufweist.

«Aber mehr als ein A4 Blatt Platz für Hühner ist ein Luxus»

Enttäuschte Befürworterinnen und Befürworter stellen nach der deutlichen Abfuhr die Tierliebe der Bevölkerung infrage. «Das Land der ach so tierliebenden  Hunde- und Katzenhalter zeigt sehr deutlich, was ihre ‹Tierliebe› eigentlich ist; purer Egoismus», empört sich ein User auf Twitter. Dazu erwähnt er Herrchen und Frauchen, bei denen die Tierliebe im Stall aufhört: «Mein Hund bekommt Bio-Futter und ein neues Hüftgelenk und meine Katze 3x die Woche Physiotherapie und ein Diamant besetztes Halsband. Aber mehr als ein A4-Blatt Platz für Hühner ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können ...»

Eine Userin bezeichnet die Stimmbürger, die ein Nein eingelegt haben, als «Heuchler» und wirft ihnen vor, zunächst von «weniger Fleischkonsum» zu schwatzen «und dann so abstimmen».

Gegner hätten mit Geldbeutel verunsichert

Philipp Ryf, Co-Kampagnenleiter der Initiative gegen Massentierhaltung, sieht das Resultat nicht als Absage der Schweiz an das Tierwohl. Vielmehr hätten es die Gegner geschafft, die Bevölkerung in einer dazu noch wirtschaftlich schwierigen Lage zu verunsichern. Etwa hätten diese zu Unrecht behauptet, dass die Lebensmittel teurer würden, die Importvorschriften auf dem Markt nicht umsetzbar seien und die Läden mit Billigprodukten geflutet würden.

«Bei Argumenten, die mit dem Geldbeutel zu tun haben, haben es Abstimmungen aus ideologischen Gründen schwer», sagt Ryf. Das Nein zur Initiative sei eine verpasste Chance. «Tierfreundliche Produkte wären billiger geworden, da die Preise nur um 5 bis 20 Prozent gestiegen wären.» Für ein Label-Produkt müssten die Konsumentinnen und Konsumenten dagegen deutlich mehr bezahlen.

«Ab jetzt auf Bio umstellen»

Markus Ritter vom Nein-Komitee ist Präsident des Bauernverbands und selbst Biobauer. Er macht darauf aufmerksam, dass die Schweiz eine der weltweit strengsten und detailliertesten Regelungen zum Schutz der Tiere habe. Auch sei der Bezug der Landwirte zu den Tieren sehr eng. Das Stimmvolk habe eine Anpassung deshalb nicht für nötig gehalten, erklärt er.

Die Vorlage hätte aber viele Leute mit kleinem Budget getroffen, sagt Ritter. «Für sie wäre der Einkaufstourismus die einzige Alternative gewesen, was ja sicher nicht Sinn der Sache ist.»

Dennoch sieht Ritter mit dem Resultat die Chancen für mehr Tierwohl nicht beerdigt. «Wir haben immer Freude, wenn mehr für das Tierwohl gemacht wird», sagt er. Er nimmt die Befürworterinnen und Befürworter in die Pflicht: «Wer bei der Massentierhaltungsinitiative Ja gestimmt hat, sollte ab jetzt auf Bio umstellen.» Steige die Nachfrage nach Bio-Produkten, erlebten diese einen Aufschwung – und würden so billiger.

veröffentlicht: 26. September 2022 07:05
aktualisiert: 26. September 2022 17:46
Quelle: Today-Zentralredaktion

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