Die Maschine machts

Computer werden heutige Berufslehren kaputt machen

20.09.2022, 09:26 Uhr
· Online seit 17.09.2022, 06:54 Uhr
Die digitale Transformation schreitet voran. In einigen Jobs übernehmen Maschinen immer mehr Arbeiten. «Gewisse Jobs und damit auch Berufslehren in der heutigen Form wird es wahrscheinlich nicht mehr geben oder sie werden sogar verschwinden», so ein Berater.
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Ob Kauffrau, Schreinerin, Koch oder Detailhandelsangestellter: Der Weg dahin ist die Berufslehre. Rund 68'000 Lehrverträge wurden laut dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) bis Ende August gesamtschweizerisch abgeschlossen. Doch die Stifte könnten einige der letzten sein, die noch eine Berufslehre in der heutigen Form absolvieren.

«Wegen der digitalen Transformation wird es gewisse Jobs und damit auch Berufslehren in der heutigen Form mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht mehr geben oder sie werden sogar verschwinden», prognostiziert Pascal Huber, Geschäftsführer Fundamensch GmbH, einer Beratungsfirma rund um Themen der neuen Arbeitswelt.

Etwa gewisse KV-Tätigkeiten könnten künftig ebenso gut von einem PC übernommen werden, sagt Huber. «Auch den Buchhalter gibt es – beachtet man die aktuellen Entwicklungen – in fünf oder zehn Jahren nicht mehr, weil Maschinen oder Computer viel schneller, weniger fehleranfällig und effizienter arbeiten als der Mensch.»

Neue Fähigkeiten seien gefragt

Der Wandel trifft aber auch handwerkliche Berufe. «Es ist gut möglich, dass Maschinen und automatische Systeme einen Grossteil der Arbeiten ausführen werden, die der Schreiner heute von Hand macht», sagt Huber. Zukünftig an Wert verlören dadurch Kompetenzen wie administrative Büroarbeiten oder einfache handwerkliche Fähigkeiten, die in klassischen Berufslehren erlernt würden.

Neue Fähigkeiten wie Sozial-, Methoden- und IT-Kompetenzen genauso wie beraterische und planerische Tätigkeiten würde dafür umso wichtiger, so Huber. «Dies hat damit zu tun, dass in diesen Bereichen der Mensch auch zukünftig der künstlichen Intelligenz überlegen sein wird.» Wichtig sei, dass sich die Berufslehren diesen äusseren Einflüssen anpassten und ihr Ausbildungsprofil kritisch überprüften.

Reicht ein Sekabschluss nicht mehr?

Heute braucht es einen Sekabschluss, um eine Berufslehre starten zu können. Doch wegen des digitalen Einflusses auf die Arbeit könnte ein solcher nicht mehr genügen. «Diese Entwicklungen würden dazu führen, dass Abgängerinnen und Abgänger der Volksschule nicht mehr optimal auf eine Berufslehre vorbereitet sind, weil der Arbeitsmarkt völlig neue Fähigkeiten fordert», warnt Huber.

Die Mühlen der Politik mahlen laut Huber langsam. Um am Erfolgsmodell der Berufslehren festzuhalten, müssen die Volksschulen deshalb ihren Lehrplan jetzt überdenken und anpassen. «Dies ist auch wichtig, um eine Akademisierung innerhalb der Gesellschaft zu vermeiden.»

«Kritisches Denken»

Den betroffenen Branchen ist der Wandel bewusst. «Kaufmännische Tätigkeiten werden in Zukunft vermehrt koordinierend, analytisch und strategisch», sagt Kathrin Ziltener, Fachverantwortliche Berufsbildung beim Kaufmännischen Verband Schweiz (KFMV). Dafür seien neue Kompetenzen gefragt wie zum Beispiel kritisches und lösungsorientiertes Denken, das Arbeiten im Team und die Übernahme von Initiative und Verantwortung.

Sorgen bereitet dem Verband die Entwicklung aber nicht. «Diese Kompetenzen berücksichtigt die aktuell laufende KV-Reform», sagt Ziltener. Sie macht darauf aufmerksam, dass im Sommer 2023 die erneuerte KV-Ausbildung startet. «Diese stellt sicher, dass Kaufleute auch in Zukunft für die veränderten Bedürfnisse der Arbeitswelt ausgebildet werden.» Klar sei auch, dass das praxisnahe Lernen im Lehrbetrieb und in überbetrieblichen Kursen nicht durch ein Studium ersetzt werden könne.

Maschine statt Mensch auf der Baustelle?

An ein Szenario, in dem der Computer Bauarbeiterinnen und -arbeitern einst die Arbeit wegnimmt, glaubt die Baubranche nicht. «Mittelfristig könnten wohl einzelne einfache Bautätigkeiten automatisiert werden. Aber nicht alle, was auch ein Vorteil der Bauberufe ist», sagt Matthias Engel, Mediensprecher des Schweizerischen Baumeisterverbands. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Mensch durch Maschinen und automatische Systeme ersetzt werde, sei auf der Baustelle gering.

Laut Engel kommen technische Hilfsmittel wie Drohnen, Tablets und sonstige digitale Arbeitsgeräte auf dem Bau bereits ebenso selbstverständlich zum Einsatz wie im Fall der Maurerkelle. «Wer Maurerin oder Maurer ist, muss nicht nur anpacken können, sondern auch Ausführungspläne lesen und sie mit traditionellem Handwerk und modernsten Maschinen und Geräten umsetzen können.»

Zudem aktualisiere der Verband mit dem Masterplan Berufsbildung 2030 fortlaufend die Berufsbildung der Zukunft gemäss den hohen Anforderungen des Baustellenalltags, sagt Engel. «Dieser verlangt nicht nur umfassende Kenntnisse im digitalen Bereich, sondern beispielsweise auch eine Stärkung der Sozial- und Selbstkompetenz.»

«Diese Zeiten sind vorbei»

Ähnlich klingt es beim Verband der Schweizerischen Schreinermeister und Möbelfabrikanten (VSSM). «Die Zeiten, in denen Schreinerberufe ausschliesslich mit Sägen, Hobeln und Hämmern gleichgesetzt wird, sind vorbei», sagt Daniel Zybach, Bereichsleiter Berufsbildung. Was früher von Hand gemacht worden sei, werde heute von Maschinen teilweise vollautomatisch erledigt.

Jedoch sei das Wissen über Prozesse und Materialien sowie dessen Bearbeitung von grösster Bedeutung, sagt Zybach. «Und dieses wird in Zukunft noch wichtiger werden, da das Tätigkeitsfeld des Schreiners sehr breit gefächert ist.»

Bund blickt positiv in Zukunft

Geht es nach dem Bund, ist die Berufsbildung für die Zukunft gut aufgestellt. Die Lerninhalte würden vom Arbeitsmarkt gesteuert, begründet dies Tiziana Fantini, Projektverantwortliche Kommunikation beim Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF). «Die Betriebe müssen den digitalen Wandel nachvollziehen, um konkurrenzfähig zu bleiben. So werden die Lernenden automatisch mit den neusten Entwicklungen konfrontiert.»

Zur Kernaufgabe der Betriebe und Organisationen in der Arbeitswelt gehört, die Ausbildung an technologische und didaktische Entwicklungen anzupassen. Laut Fantini müssen die Betriebe mindestens alle fünf Jahre die Bildungsverordnung und die Bildungspläne daraufhin überprüfen. «Wir stellen fest, dass sich die Organisationen der Arbeitswelt der digitalen Herausforderung sehr wohl bewusst sind und bei Reformen die innovativsten Player ihrer Branche einbeziehen.»

«Schulen gehen auf Veränderungen ein, so gut es ihnen möglich ist»

Die Volksschule leistet im Hinblick auf die veränderten Anforderungen Vorarbeit. Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH), stellt fest, dass in den letzten Jahren vor allem die Energiewende und die Digitalisierung einen Wandel in den Berufslehren vorangetrieben haben. «Schulen gehen auf diese Veränderungen ein, so gut es ihnen möglich ist.»

Der Lehrplan 21 und auch neue Fächer oder Module wie zum Beispiel die informatische Bildung tragen diesen Veränderungen laut Rösler Rechnung. «Letzteres wird in der Regel mit den aktuellsten technischen Geräten und der heute zur Verfügung stehenden Software und Hardware unterrichtet.»

veröffentlicht: 17. September 2022 06:54
aktualisiert: 20. September 2022 09:26
Quelle: Today-Zentralredaktion

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